Weekly Conversations… with Robin Waart

Photo © Robin Waart, File. Baseboard with(out) Penguin (books). Artisbook, Groningen 2021

Die Arbeit von Robin Waart beginnt mit den Worten anderer. Er nutzt die Wiederholung und das Sammeln als Rahmen für Projekte und Installationen mit Büchern, Filmstills, Fotografien und Buchseiten, um Fragen der (Dis-)Kontinuität zu untersuchen, warum und für wen wir machen, was wir machen, und was es bedeutet, immer wieder dasselbe zu tun. Waart studierte Griechisch, Latein und Bildende Kunst in Amsterdam und Den Haag. Er lebt und arbeitet in Amsterdam.

Im weissen haus in Wien wird Robin Waart an seinem Projekt ‘Footnotes and Fußleisten’ arbeiten – über die Frage, was den spezifischen kleinen Text am unteren Rand einer Seite, den Blick auf die Kunst und die Fußleisten, die einen Raum, einen Ausstellungsraum und speziell die Architektur von Rudolph Schindler einrahmen, verbinden könnte.

EIN GESPRÄCH MIT FUSSNOTEN

Robin, du beschäftigst dich ja sehr intensiv mit Textkörpern. Text spielt in deinen Arbeiten immer wieder eine zentrale Rolle, sei es in Form von Büchern, wie sie in deinen Installationen vorkommen, aber auch Filmstils mit Untertiteln oder Buchseiten. Was würdest du sagen bietet dir das Geschriebene an, dass dich in deiner Auseinandersetzung damit so motiviert?

Es ist ein Versuch nicht allein zu sein. Text und Texte kommunizieren, und zwar nicht nur Information. Sie sind Austausch, Kontakt. Mit Wörtern zu arbeiten, bedeutet immer Verantwortung zu tragen, aber es hat auch damit zu tun, dass die eigenen Worte immer weiterbauen auf etwas schon Dagewesenes:  zitieren, referieren, wiederaufnehmen. Dabei entsteht ein bewusstes Wiederaufgreifen von Klischees.  Ich habe mich dann irgendwann entschieden, dieses textliche Kontinuum zu umarmen. Darin geht es eigentlich darum, dass das eine Wort ein anderes Wort, und Text durchaus ein Gegenüber voraussetzt. Meine Arbeiten gehen oft von Fragen aus, die sich wie eine Einladung vor Tun, die sich an ein Du richten. Text bedeutet für mich immer Dialog. Ich versuche außerdem das “Ich” in meinen Arbeiten auch grundsätzlich zu vermeiden – auch wenn das nie wirklich geht[1] – und das Fehlen der eigenen Worte, die nur mir gehören würden, nicht als eine Unzulänglichkeit zu sehen, sondern die Beziehungen zu thematisieren, die es zwischen ihren (möglichen) Eigentümern und Adressaten gibt. Es kann Sprache nur geben, weil sie weitergetragen wird, weil wir sie teilen. Diese Gemeinsamkeit ist es, die mich so an dem Medium fasziniert. 

 

In deinen letzten Projekten galt deine Aufmerksamkeit vor allem unscheinbaren und subtilen Textteilen, wie etwa Fußnoten, welche oftmals ignoriert oder übersehen werden. Während deines Aufenthalts als Resident hier im studio das weisse haus hast du dich aber vor allem der Fußleiste gewidmet. Wie stehen diese in Verbindung? Woher kam die Faszination für die am Rande verlaufenden Leisten und Zeilen?

Was mich zur Fußleiste gebracht hat, ist eigentlich, dass es im deutschen dafür so viele unterschiedliche Namen gibt: Fußleiste, Sockelleiste, Sesselleiste in Österreich, aber auch Mausleiste habe ich gehört. Im niederländischen und französischen ist es plint(he) wo das englische plinth sich wieder nur als “Sockel” übersetzt. Dieses Sprachspiel habe ich im Prozess angefangen ernster zu nehmen. Irgendwann ist mir dann aufgefallen, dass dieses halbe Wort “Sockel-” die Leiste in eine skulpturale Richtung leitet. Und ich habe mich gefragt, was man denn draufstellen sollte, wenn es sich um einen Sockel, einen Podest handelt. Irgendwie fand ich das absurd und auch schön, wenn nämlich das Sprachliche wieder in die Welt zurückzieht, zu was ganz Konkretem wird. Was ich da ahne oder suche, ist der Bezug zwischen beiden: wie können Worte (wieder) Teil der Welt werden? Damals wusste ich noch gar nicht, dass beispielsweise das portugiesische “rodapé” sowohl Fußleiste als auch Fußnote bedeutet. Diese Verbindung ist es, was mir selbst auch unklar ist und dadurch beschäftigt. Wie eine Fußleiste einen Raum umarmt, so deuten Fußnoten auf die Beziehungen und Verbindungen auf einen anderen, eheren oder nächsten Text hin. Sie führen sozusagen gleichzeitig in etwas hinein, aber auch darüber hinaus. Aus der Sprache heraustreten zu wollen, auf das Sprachliche aufmerksam werden ist zwar Fundament dieser Geste, aber was ich dadurch versuchen möchte, ist zugleich wieder auf etwas Nicht-textliches, Gegenständliches zu kommen.

[1]  “But has any writer, who is not a typewriter, succeeded in being wholly impersonal?” Virginia Woolf, On Craftsmanship, BBC Radioaussendung vom 29. April 1937

 

 

Die Architektur eines Raums, Layout eines Textkörpers, beide können in Sehregime eingreifen, Elemente priorisieren oder vernachlässigen. Inwiefern kannst du diese für dich in ‚Fußnoten und Fußleisten‘ nutzbar machen? Stellt die Umlenkung der Aufmerksamkeit auf die Ränder eine Subversion des Sehregims für dich da?

 

Das wäre zumindest der Versuch. Die Frage ist natürlich, was es bringt, den Blick in eine andere Richtung zu lenken: auf den Boden, nach unten, etwas, auf das wir normalerweise ‚hinunterschaut‘. Ob das impliziert, mit den üblichen Perspektiven wäre etwas nicht in Ordnung, oder ob es sich auch einfach um eine Ergänzung und Erweiterung handelt, lasse ich lieber offen. Deutlich ist für mich, dass so betrachtet Fußnoten und Fußleisten etwas mit den Voraussetzungen, Grundlagen oder Rahmenbedingungen eines Textes, eines Raumes, zu tun haben, dass ich es für wichtig halte, sich damit auseinanderzusetzen. Könnte es bei diesem Weglenken vom gewohnten Sehen auch um ein Verlangsamen handeln? Und könnte ein simples Abstandnehmen dieser und auch meiner eigenen Gewohnheiten ausreichen?[1]

 

Nach dieser intensiven Phase der Recherche rund um die Fußleiste, gibt es schon Ideen, wohin sich das ganze weiterentwickeln wird?

 

In meiner Zeit in Wien habe ich viele Stunden in zum Beispiel der Bibliothek des Architekturinstituts verbracht, aber doch weniger Material zur Fußleiste finden können als ich es mir erhofft hatte. Geschrieben und publiziert wurde darüber nicht viel. Irgendwie ist das auf dem zweiten Blick auch gar nicht schlimm, so ein Zwischenstand. Vielleicht ist es etwas, das ich selbst tun sollte, und das noch kommt. Es hat mich aber vor allem verwundert, weil gerade Österreich eine ganz spezielle Form der Fußleiste kennt, die der Ausgangspunkt meiner Zeit in Wien war. Diese zu 45° abgeschrägte, klassische Fußleiste habe ich nur in österreichischen Altbauten gesehen, in Wiener Wohnungen, sowie das MAK oder das Kabinett der Secession – sie sind aber auch in die 1939 von Rudolph Schindler gestalteten Mackey Apartments in Los Angeles gelandet. Etwas, das ich noch gerne verstehen möchte, ist, wie (und vielleicht warum) sie von einem als modernistisch bekannt stehenden Architekten wiederaufgenommen worden wurden.  Wo ich bis jetzt in meiner Arbeit auf das Geschriebene fokussiert war, ist die Recherche in den letzten Wochen mehr Richtung oraler Geschichte gerückt, Gespräche mit Architekt*innen und Künstler*innen. Auch weitere Fragen nach einem möglichen Unterschied zwischen Fußleisten in Ausstellungs- und Wohnräumen kamen auf. Und noch grundsätzlicher, wo sie eigentlich stehen und wie sie zu kategorisieren sind: Wann gehören oder gehorchen sie den Boden? Wann sind Fußleisten Teil der Wand?

Auf jeden Fall hab ich zunächst vor, als Beitrag zu einer Ausstellung hier in Wien, kommenden März einen Raum mit Fußleisten zu versehen. Was noch offen ist, ist die materielle und visuelle Beschaffenheit dieser Fußleisten. Die skulpturale Umsetzung, an die ich denke, wäre in diesem Fall Übersetzung in ein anderes Medium. Statt Strategien wie sie aus Marmor zu meißeln, zu vergrößern oder zu verkleinern habe ich angefangen in eine andere Richtung, an andere Möglichkeiten zu denken. Was ich vermeiden will –auch wenn es vielleicht unvermeidlich ist– wäre die Fußleisten mit Text oder Sätzen zu versehen. “Du verwendest die Worte als Mäntel,” hast du mir vor unserem Gespräch im Off gesagt. Dieser Vergleich gefällt mir sehr. Ich habe hier also in einem Second Hand Laden nah zum Botanischen Garten ein Buch aus den 60ern gefunden, mit dem Titel Ein Schauspieler ohne Text.[2] Vielleicht versuche ich eine Fußleiste Textur zu geben, indem ich sie wie die Buchrücken dieses Buchbandes mit Leinen verkleide. Mit Malerei und der Leinwand hätte das wohl weniger zu tun, aber schon mit der Tapete, die ja auch eine Wand-Tapete sein kann – ein mittlerweile unüblicher Begriff. Ich bin neugierig wann und wie eine Neben- zur Hauptrolle werden könnte? Oder lieber: beides gleichzeitig.[3]

 

[1]  “In a sense it might even be said that our failure is to form habits: for, after all, habit is relative to a stereotyped world, and meantime it is only the roughness of the eye that makes any two persons, things, situations, seem alike.” Walter Pater, Conclusion to The Renaissance (1873)

[2]  Franz Fischer-Karwin, Ein Schauspieler ohne Text. Österreichischer Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst. Wien und München 1966, mit auf S. 5 der Zueignung: “Dieses Buch ist Deutschlands charmantester Sängerin gewidmet.”

[3] Clara Pater, die Schwester Walter Paters, war die Tutorin latein-griechisch Virginia Woolfs. Vgl. Letters of Walter Pater (Hsg. Lawrence Evans). Oxford University Press, London 1970, S. xxxiii